Unsere Identität wird größtenteils durch unsere Kultur, unseren ethnischen Hintergrund, unser Geschlecht, unsere Religion, unsere sexuelle Orientierung und unsere sozialen Rollen bestimmt. Darüber hinaus gibt es auch ein kollektives kulturelles, religiöses oder nationales Identitätsbewusstsein. Die Vielfalt von Faika El-Nagashi brachte in unserem Gespräch viele Aspekte zur Sprache, da persönliche Erfahrungen, kultureller Hintergrund und politisches Engagement alle dazu beitragen, wie wir uns selbst und unsere Gemeinschaft wahrnehmen.
Rólunk.at/Horváth Nóra: Sie sprechen sehr gut Ungarisch. Haben Sie es in der Schule gelernt oder nur zu Hause in Ihrer Muttersprache gesprochen?
Faika El-Nagashi: Ich bin sehr unsicher in Bezug auf meine Ungarischkenntnisse. Es ist meine Muttersprache, aber eigentlich spreche ich nur mit meiner Mutter Ungarisch, deshalb ist mein Wortschatz begrenzt und meine Aussprache nicht perfekt. Eine Zeit lang habe ich Ungarisch gelernt, aber das ist schon lange her, und ich habe nie richtig Ungarisch schreiben oder lesen gelernt.

(fotó: Horváth Nóra)
Faika El-Nagashi wurde 1976 in Budapest geboren. Ihre Mutter ist ungarischer, ihr Vater ägyptischer Herkunft. Im Alter von vier Jahren zog sie mit ihrer Familie nach Wien. Sie studierte Politikwissenschaft an der Universität Wien und untersuchte in ihrer Diplomarbeit die Situation von migrantischen Sexarbeiterinnen in Österreich. Seit 2013 arbeitet sie bei den Wiener Grünen, zunächst als Referentin für Sozialpolitik, später als Referentin für Integrationspolitik. Im Jahr 2015 wurde sie in den Wiener Gemeinderat und Landtag gewählt, wo sie stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Bildung, Integration und Jugend war. Bei den Nationalratswahlen 2019 zog sie als Kandidatin der Grünen ins Parlament ein und vertrat dort die Positionen der Partei zu Integration, Vielfalt, Zivilgesellschaft und Tierschutz. Am 23. Oktober 2024 schied sie aus dem Nationalrat aus.
Rólunk.at: Erleben Sie das als Tatsache oder eher als Nachteil?
Faika El-Nagashi: Ich denke, es ist am besten, wenn man die Sprache in der Kindheit so gut wie möglich bewahrt. Als Erwachsener konzentriert man sich auf die Karriere und das Berufsleben, und wenn man sich nicht beruflich mit Sprachwissenschaft beschäftigt, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass man seine Muttersprache besser versteht.
Als mein älterer Bruder und ich Anfang der 1980er Jahre in Wien in den Kindergarten kamen, erlaubten uns die Pädagogen nicht, miteinander Ungarisch zu sprechen. Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir heutzutage zu erreichen versuchen.
Als Erwachsene, während meines Studiums an der Universität, entschied ich mich bewusst dafür, die ungarische Sprache besser zu verstehen. Bis dahin hatte ich keine Ahnung, wie man auf Ungarisch schreibt oder liest. Ich lese sehr langsam auf Ungarisch. Wenn ich ein Wort lese, erkenne ich es phonetisch am Klang und verstehe auf dieser Grundlage seine Bedeutung – nicht so wie in anderen Sprachen, in denen ich das Wort einfach ansehe und sofort erkenne. Zum Beispiel, wenn ich „mért“ sage, wie in „mért van így“ („warum ist das so“), wusste ich nie, dass man es als M-I-É-R-T schreibt. Ich habe die Sprache also anders verstanden als durch das Lernen. Das Ungarischlernen an der Universität war sehr wertvoll, aber natürlich war es zu spät.
Rólunk.at: In welcher Sprache kommunizierten Sie mit den anderen Familienmitgliedern?
Faika El-Nagashi: Meine Mutter lernte nur langsam Deutsch – teilweise aus dem Radio und Fernsehen, teilweise mit Hilfe eines Wörterbuchs. Später lernte sie auch von uns, den Kindern, weil mein älterer Bruder und ich nach dem Kindergarten auch zu Hause begannen, Deutsch zu sprechen. Das wurde unsere gemeinsame Sprache.
In mehrsprachigen Familien entwickeln sich ganz andere sprachliche Dynamiken als in einsprachigen. Das kann oft mit Schmerz, Verwirrung und Spannungen verbunden sein.
Ich kann mir vorstellen, dass es für meine Mutter schwierig war, als ihre Kinder nicht mehr Ungarisch sprachen. Ich erinnere mich, dass ich als Teenager immer noch ausschließlich Ungarisch mit meiner Mutter sprach, aber es gab eine Zeit, in der ich mich unwohl fühlte, wenn ich in der Öffentlichkeit, zum Beispiel in öffentlichen Verkehrsmitteln, Ungarisch mit ihr sprach.
Der Sprachgebrauch hat viele verschiedene Dynamiken. Für meine Mutter bedeutet Ungarisch mehr als für mich – es ist mit Heimat, Wurzeln und einer starken emotionalen Bindung verknüpft. Für mich steht es hauptsächlich für meine Kindheit, denn meine Mutter las mir Märchen auf Ungarisch vor. Die Geschichte prägt unser soziales Leben und beeinflusst unser Dasein oft unbewusst. Zwischen Mutter und Kind entsteht in einem fremden Land, in einem anderen sprachlichen Umfeld eine andere Dynamik. Zum Beispiel konnten mein jüngerer Bruder und ich ins Ungarische wechseln, wenn wir nicht wollten, dass andere uns verstehen. Niemand würde von uns erwarten, dass wir Ungarisch sprechen – nicht einmal in Ungarn.

Rólunk.at: Sie sind selten in Ungarn; wenn doch, dann entweder als Vertreterin der Grünen oder als LGBTQ-Aktivistin. Wie bewerten Sie die aktuellen Wahlergebnisse in Österreich? Haben Sie mit einem solchen Ergebnis gerechnet?
Faika El-Nagashi: Ich denke, ja. Das Endergebnis stimmt mit den Meinungsumfragen überein. Für mich persönlich macht es keinen großen Unterschied, ob die rechte Partei 29% oder 27% erreicht hat – das Ergebnis ist so oder so schockierend. Als Aktivistin der Grünen ist es besonders erschütternd, dass die Partei nur 8,2 % erzielt hat. Es hat keinen Sinn, das schönzureden: Das ist ein sehr schlechtes Ergebnis.
Rólunk.at: Wie weiter?
Faika El-Nagashi: Anstatt die rechte Partei zu beschuldigen und dies als einen unausweichlichen Schicksalsschlag zu betrachten, sollten wir lieber in uns gehen: Was tun wir auf der progressiven Seite? Wie haben wir zu diesem Ergebnis beigetragen? Was haben wir inhaltlich übersehen? Was haben wir möglicherweise falsch kommuniziert? Meiner Meinung nach müssen drei Aspekte berücksichtigt werden: die politischen Inhalte, die Kommunikation und die generelle Haltung, mit der wir in den politischen Raum eintreten. Ich denke, dass sowohl die Grünen als auch die Sozialdemokraten in allen drei Bereichen nachdenken sollten.

Rólunk.at: Ihr Parlamentsmandat ist abgelaufen. Wie bewerten Sie die vergangene Zeit? Welche Ergebnisse würden Sie besonders hervorheben?
Faika El-Nagashi: Der 23. Oktober war mein letzter Tag als Abgeordnete. Das bedeutet für mich eine grundlegende Rollenveränderung. In den vergangenen fünf Jahren war ich Parlamentsabgeordnete, davor habe ich vier Jahre lang im Wiener Gemeinderat und Landtag gearbeitet. Zehn Jahre lang war ich als Politikerin der Grünen aktiv, und nun folgt etwas Neues nach der Parteipolitik. Die letzte Zeit war eine interessante Erfahrung. Es gibt Dinge, die wir erreicht haben, und es gibt Ergebnisse, auf die ich besonders stolz bin, weil ich sie verhandeln und umsetzen konnte.
Eines davon ist, dass wir nach dem Terroranschlag ein Maßnahmenpaket zur Terrorbekämpfung ausgearbeitet haben. Die Konservativen drängten auf einige gesetzliche Maßnahmen im Bereich Sicherheit und Ordnung, von denen wir wussten, dass wir sie wahrscheinlich akzeptieren müssen. Gleichzeitig habe ich jedoch die Prävention von Extremismus in einem breiteren Kontext betrachtet.
Es ist entscheidend, so früh wie möglich anzusetzen, da Radikalisierung insbesondere junge Menschen betrifft – vor allem jene, die auf der Suche nach ihrer Identität sind oder sich in einer Krise befinden. Ideologien bieten ihnen eine einfache Welterklärung und einen vermeintlichen Platz in der Gesellschaft. Aus diesem Grund sind weitreichende Maßnahmen unabdingbar, die vor allem Schulen und das Internet in den Blick nehmen. Zudem gilt es, gefährdete Gruppen gezielt zu unterstützen – mit besonderem Augenmerk auf junge Männer.
Es ist uns gelungen, ein jährliches Budget von 8 Millionen Euro für die Prävention aller Formen von Extremismus zu verhandeln.
Rólunk.at: Wenn wir über Mehrsprachigkeit und kulturelle Vielfalt sprechen, kommt unweigerlich auch die Frage der Identität auf. Wie erleben Sie Ihre eigene Identität, insbesondere in dem Wissen, dass Sie mit mehreren Kulturen verbunden sind?
Faika El-Nagashi: Ich würde mich nicht als Mitglied der ungarischen Volksgruppe bezeichnen, aber ich sage den Menschen gerne, dass meine Mutter Ungarin und mein Vater Ägypter ist.
Ich erzähle gerne, dass ich in Ungarn geboren wurde, und ich sage gerne, dass Ungarisch meine Muttersprache ist. Das sind nicht nur biografische Fakten, sondern Dinge, mit denen ich mich verbunden fühle.
Diese Aspekte machen mich aus – auch wenn ich nicht stundenlang über jeden einzelnen spreche, benenne ich sie, und sie sind es, die mich zu dem machen, was ich bin. Bis zu meinem 17. Lebensjahr war ich Ungarin. Dann nahmen meine Eltern für sich und ihre minderjährigen Kinder die österreichische Staatsbürgerschaft an. In diesem Moment wurde ich formal Österreicherin. Identität ist eine komplexe Frage. Ich habe mich viel mit meiner Identität beschäftigt, als ich jung war. Ich nahm an vielen Konferenzen teil, auf denen ich Menschen aus anderen Ländern traf, die ebenfalls interessante Identitätskonstellationen hatten. Das gab mir in gewisser Weise Trost, denn hier war ich immer die Außenseiterin. Ich erinnere mich daran, wie ich an der Universität auf Ungarisch eine Präsentation halten musste – und als ich zu sprechen begann, sah ich den Schock auf dem Gesicht meines Professors; er konnte einfach nicht glauben, dass ich tatsächlich Ungarisch spreche. Ich war also immer diejenige, die herausstach, und ich habe nie das Gefühl gehabt – oder verstanden –, wo ich hingehöre, wo mein Platz ist.

Wie könnte ich zum Beispiel sagen, dass ich Ungarin bin, wenn ich nicht einmal einen ungarischen Pass habe? Wenn ich nach Ungarn fahre, betrachtet mich niemand als Ungarin, und ich bin wegen meines Sprachniveaus verunsichert. Bin ich also doch keine Ungarin? Ich wurde dort geboren, von einer ungarischen Mutter. Das ist meine Muttersprache.
Gleichzeitig, wie könnte ich sagen, dass ich Österreicherin bin, wenn ich nicht hier geboren wurde und die Menschen mich nicht als Österreicherin wahrnehmen, obwohl dies meine stärkste Sprache ist? Ich bin hier aufgewachsen, hier zur Schule gegangen, arbeite hier und war sogar Parlamentsabgeordnete – wie könnte ich in der politischen Vertretung noch „österreichischer“ sein?
Von der ägyptischen Seite aus hatte ich das Gefühl, dass ich, wenn ich in Ägypten wäre, die Sprache kaum sprechen würde; ich kann nur so viel Arabisch, dass ich grüßen, zählen und fluchen kann. Keine der Religionen ist meine: weder der Islam noch die Minderheitenreligionen, und ich habe dort nie gelebt. Vielleicht sehe ich aus wie eine Ägypterin, aber hier kommt vielleicht der homosexuelle Aspekt ins Spiel, ebenso wie die Art, wie ich mich präsentiere. In Ägypten gibt es sehr strenge Erwartungen an weibliche Rollen, einschließlich natürlich der Kleidung und des Verhaltens, und auch Homophobie ist präsent.
Rólunk.at: Sie erziehen Ihr Kind mit Ihrem Partner in einer Regenbogenfamilie. Ein wichtiger Aspekt Ihrer Identität ist Ihre Homosexualität. In einem Interview im Jahr 2022 äußerten Sie unter anderem, dass Sie die Hormonbehandlung von Minderjährigen im Falle einer Geschlechtsumwandlung nicht unterstützen. Mit dieser Aussage haben Sie einen Teil der homosexuellen Gemeinschaft verärgert. Man verfasste einen offenen Brief gegen Sie, und Sie wurden sogar von einer LGBT-Konferenz in Budapest ausgeschlossen. Warum haben Sie damit eine Gemeinschaft gegen sich aufgebracht, der Sie nicht nur angehören, sondern für die Sie auch seit Jahrzehnten kämpfen?
Faika El-Nagashi: Seit meinem 19. Lebensjahr bin ich politische Aktivistin in verschiedenen Bereichen, einschließlich LGBTIQ-Themen. Als ich dieses Interview gab, war ich bereits seit etwa 25 Jahren Aktivistin. In den letzten zehn Jahren habe ich viele Veränderungen in der LGBT-Bewegung beobachtet, die meiner Meinung nach auf zwei Hauptfaktoren zurückzuführen sind. Einerseits liegt es vielleicht daran, dass in westlichen Ländern, insbesondere in Westeuropa, die meisten Forderungen der lesbischen und schwulen Bewegung inzwischen erfüllt wurden. Die Ehegleichstellung wurde umgesetzt, Adoptionsrechte wurden gewährt, und es gibt keine aktive Diskriminierung mehr.
Es gab einen strategischen Wandel in den Programmen etablierter LGBTIQ-Organisationen, eine Verschiebung hin zu anderen Gruppen – von den Rechten von Lesben und Schwulen hin zu den Anliegen von trans- und intergeschlechtlichen Menschen. Ich verstehe, wie daraus eine Bewegung entstanden ist. Denn am Rand der lesbischen und schwulen Identität – manchmal sogar im Zentrum – findet sich oft Geschlechtsnonkonformität. Heutzutage wird Geschlechtsnonkonformität jedoch häufig mit nicht-binärer Identität oder bestimmten Formen der Transgeschlechtlichkeit gleichgesetzt, deren Bedeutung sich im Laufe der Jahre erweitert hat. Früher war Transsexualität eng mit einer medizinischen Transition und ausgeprägter Geschlechtsdysphorie verbunden, während sie heute oft auf Selbstidentifikation basiert. Dies hat weitreichendere Folgen, insbesondere für Frauen, da sich auch Fragen des Zugangs zu geschlechtsspezifischen Räumen ergeben.

Als ich in diesem Interview und in den darauffolgenden Artikeln, die ich geschrieben habe, über diese Fragen sprach, wurden all diese Anschuldigungen gegen mich erhoben. Man könnte meinen, dass es irgendwann lächerlich wirken würde, wenn jemand wie ich beschuldigt wird, mit Faschisten und der Rechten zu sympathisieren. Doch das ist nicht geschehen. Heutzutage ist es weitgehend akzeptiert, Menschen mit solchen Vorwürfen zu beschämen und unter Druck zu setzen. Hätte ich damals an einer Universität, in einer zivilgesellschaftlichen Organisation oder gar in den Medien gearbeitet, wäre ich garantiert wegen meiner Arbeit ins Visier genommen und attackiert worden. Aber da ich in der Politik tätig war und ein Mandat hatte, das mich persönlich repräsentierte, konnten sie mir das nicht nehmen. Allerdings kam ein großer Teil der Kampagne gegen mich von meinen politischen Verbündeten – von jenen politischen Gemeinschaften, mit denen ich jahrelang, ja sogar jahrzehntelang zusammengearbeitet hatte. Das war vielleicht der schwierigste Teil.
Rólunk.at: Gibt es also insgesamt Elemente in Ihrer Identität, die wichtiger sind, und tritt Ihr ungarisches oder halb-ungarisches Identitätsbewusstsein eher in den Hintergrund?
Faika El-Nagashi: Nein, das stimmt nicht. Aber ich fühle mich nicht als Teil der Volksgruppe, denn meiner Meinung nach gibt es ungarische Migranten und es gibt die Volksgruppe. Die Volksgruppe ist eine ethnische Gruppe, ein ethnischer Begriff. Ich würde mich eher den Migranten zuordnen. Ich weiß nicht, ob die Mitglieder der Volksgruppe es anders sehen, wer zu ihnen gehört. Die Volksgruppe hat nach der österreichischen Verfassung besondere Rechte, und die Förderung auf verschiedenen Ebenen ist Teil davon.
Wenn wir als Parlamentsabgeordnete angelobt werden, gibt es eine Formel, die der Parlamentspräsident verliest und auf die wir schwören. Das Schwurwort auf Deutsch lautet: Ich gelobe. Man kann es auf zwei Arten sagen. Man kann auch hinzufügen: So wahr mir Gott helfe. Das kannst du hinzufügen. Und du kannst den Eid auch in einer der offiziell anerkannten Sprachen der Volksgruppen ablegen. Als ich angelobt wurde, habe ich den Eid auf Deutsch und Ungarisch gesprochen.
Text: Nóra Horváth
Übersetzung: Pathy