Eine Schriftstellerin ungarischer Herkunft wurde dieses Jahr mit dem renommierten Burgenländerin Awards der Monatszeitschrift Burgenländerin in der Kategorie „Kunst und Kultur“ ausgezeichnet. Bernadette Németh, in Wien geboren, ist von Beruf Allgemeinmedizinerin, lebt mit ihrer Familie am Neusiedler See, ist Mutter von zwei Kindern und spielt seit ihrer Kindheit mit Worten. Durch ihre Texte möchte sie sich selbst und auch ihren Leserinnen und Lesern neue Perspektiven eröffnen.
Bei der diesjährigen dritten Verleihung des Burgenländerin Awards wurden in insgesamt acht Kategorien jeweils vier nominierte Frauen zur Wahl gestellt, wobei rund 44.000 Stimmen online abgegeben wurden. Die Redaktion des Monatsmagazins Burgenländerin hat diese Auszeichnung ins Leben gerufen, um Frauen zu würdigen, die durch innovative Denkweise, starkes gesellschaftliches Engagement und außergewöhnliche Leistungen hervorstechen. Die feierliche Preisverleihung fand im Kulturzentrum Eisenstadt vor rund 260 geladenen Gästen statt. In der Kategorie „Kunst und Kultur“ ging der Preis in diesem Jahr an Bernadette Németh.

Bernadette Németh wurde 1979 in Wien geboren und wuchs zweisprachig auf. Ihre Mutter stammt aus Budapest, ihr Vater, der bereits verstorben ist, kam aus Vitnyéd auf der ungarischen Seite des Neusiedler Sees. Sie empfindet es als großes Geschenk ihrer Eltern, dass sie ihr die ungarische Sprache beigebracht und ihr die ungarische Kultur nähergebracht haben. Ein Teil ihrer Familie lebt heute noch in Sopron. Sie hat ein Medizinstudium absolviert und ist Allgemeinmedizinerin. Derzeit arbeitet sie in einer Plasmaspende-Klinik in einer Stadt nahe Wien an der slowakischen Grenze. Für sie ist die Kenntnis der ungarischen Sprache von Vorteil, da viele Ungarn die Einrichtung aufsuchen. Dadurch hat sie auch die Möglichkeit, die Sprache zu üben, was ihr große Freude bereitet. Ihren späteren Ehemann lernte sie 2010 kennen. Mit ihm unternahm sie oft Ausflüge auf der österreichischen Seite des Neusiedler Sees, die heute ihr Zuhause ist: Seit drei Jahren lebt sie mit ihrer Familie in der Gemeinde Fertőszéleskút/Breitenbrunn.
„Als wir hierhergezogen sind, hatte ich das Gefühl, als wäre ich nach Hause gekommen. Viele Ungarn leben hier in der Gegend, ich höre die Sprache ständig – das gibt mir Energie. Obwohl ich in einer Großstadt aufgewachsen bin und dort 43 Jahre lang gelebt habe, wollte ich doch immer auf dem Land, in einem Dorf leben. Wir haben hier immer Urlaub gemacht, und 2022 ergab sich dann die Möglichkeit, diesen Ort zu unserem Wohnort zu machen – hier haben wir uns ein kleines Haus gebaut.“
Bereits im Alter von sechs bis sieben Jahren schrieb sie: Ihre ersten Tiergeschichten skizzierte sie auf Zeichenpapier, mit fünfzehn begann sie erstmals mit dem Schreiben eines Romans. Sie wuchs in einer Künstlerfamilie auf, in der ihre Kreativität und Fantasie von ihren Eltern voll und ganz unterstützt wurden. Im 3. Bezirk, in der Ungargasse, lebten sie über einer Buchbinderei. In dem Laden wurden regelmäßig Papier und kleine Schachteln aussortiert, die man zusammenheften konnte – auf diesen notierte sie ihre Geschichten und stellte daraus eigene Bücher her.

Bei der Berufswahl musste sie eine Entscheidung treffen: Aus ihrem Umfeld erhielt sie ständig die Rückmeldung, dass man vom Schreiben nicht leben könne, und da sie sich für die Funktionsweise des menschlichen Körpers interessierte, entschied sie sich für den Arztberuf. Sie interessiert sich für das Zusammenspiel von physischem Körper, Geist und Seele. Auch die Psychologie zog sie an – beinahe hätte sie sich für dieses Fachgebiet entschieden. Sie studierte in der Schweiz, doch nach drei Monaten hatte sie das Gefühl, dass dieser Beruf mehr Berufung erfordert, als sie in sich trug. Es braucht eine starke Seele, damit ein Arzt all die Geschichten, die er von seinen Patienten hört, aufnehmen und verarbeiten kann – Geschichten, die sie erlebt und durchlebt haben. Auch während ihrer Studienzeit versuchte sie, ihrer Leidenschaft Zeit zu widmen, obwohl ihr durch das Lernen deutlich weniger Energie fürs Schreiben blieb.
„Es war keine leichte Phase, aber ich habe es geschafft. Ich könnte nicht ohne das Schreiben leben – wenn es fehlt, vermisse ich es.“
Ihre Bücher stellen vor allem die seelische Welt der Menschen dar, dabei stehen Emotionen im Mittelpunkt. Auch als Journalistin war sie tätig – hauptsächlich verfasste sie Fachartikel für medizinische Fachzeitschriften, veröffentlichte jedoch auch in literarischen Magazinen. Sie nahm an zahlreichen Literaturwettbewerben teil.






Im Jahr 2010 erschien ihr erster Erzählband mit dem Titel Der zweite Blick. Während ihrer Assistenzzeit – im Jahr 2011 – entstand ihr Kinderbuch Elmedin und der Zaubertukan, welches sie einem kleinen Patienten widmete, der große Angst vor einer Operation hatte. Sie wollte ihm persönlich ein Exemplar überreichen, hatte jedoch keinen Kontakt mehr zu ihrem ehemaligen Patienten. Deshalb meldete sie sich bei der Barbara-Karlich-Show und erzählte ihre Geschichte im Rahmen des Themas „Schwer zu glauben, aber ich bin Ärztin“. Mit Hilfe der Mitwirkenden gelang es ihr schließlich, den Jungen ausfindig zu machen. Im Jahr 2019 erfüllte sich schließlich ihr Traum: Bei einer Lesung in einer Wiener Buchhandlung konnte sie dem Jungen das Geschenk überreichen – illustriert von ihrer eigenen Mutter.

Ihre Texte entstehen nie zufällig. Das Schreiben ist für sie tatsächlich eine Form der Therapie, es hilft ihr bei der Verarbeitung. Ihr erster Roman Der Rest der Zeit aus dem Jahr 2017 erzählt die Geschichte der Flucht ihres Vaters. „Mein Vater floh 1956 aus Ungarn. Leider lebt er nicht mehr. Ich erwähne ihn oft in meinen Büchern. Ich hätte ihn gern gefragt, aber das ist nun nicht mehr möglich. Als er noch lebte, interessierte mich das Thema nicht – warum er seine Heimat verlassen musste, was er dabei empfand. Heute spreche ich gern mit älteren Menschen, frage sie nach den Gründen. Ich trage ein Gefühl in mir, das, wie ich finde, mit meinem Ungarischsein zu tun hat: Auch wenn es jetzt schwer ist, irgendwann wird es gut, irgendwann wird es gelingen. Darauf bin ich stolz.“
„Es macht mich glücklich, wenn ich Geschichten erzähle oder weitergebe, welche die Menschen unterhalten und zum Sprechen bringen. Für mich ist das Schreiben ein Versuch, das Unverständliche zu begreifen – und dadurch mir selbst und auch der Leserin und dem Leser eine neue Perspektive zu eröffnen.“

„Obwohl ich im Grunde ein positiver, optimistischer und lebensfroher Mensch bin, schreibe ich oft über traurige Dinge. Der Grund dafür ist, dass mir das Schreiben hilft, schwer verständliche und schwer verarbeitbare Themen aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Dazu gehören auch Menschen, denen ich im Laufe meines Lebens begegnet bin – ich bringe ihre erschütternden Erlebnisse zu Papier, sie werden zu Figuren in meinen Werken, denn so fällt es mir leichter, ihre Traumata und Dramen zu verarbeiten. Beim Schreiben denke ich nicht über die Motivation nach, ich schreibe einfach. Ich kann das Problem loslassen, vergessen, dass die Welt auch verletzend und schlecht sein kann. Es ist, als würde ich das Thema von außen, objektiv betrachten. Wenn du auf deine Seele hörst, wird sie dir früher oder später sagen, was im Leben wirklich wichtig ist. Ich bin dankbar, dass ich mich voll und ganz auf das Schreiben konzentrieren kann – es steht im Mittelpunkt meines Lebens –, gleichzeitig schätze ich meine wissenschaftliche Ausbildung sehr, denn sie liefert mir viele Inhalte. In meiner Familie finde ich den Frieden und die Kraft, die ich brauche, um immer wieder neue Inspiration zu schöpfen und meine Kreativität zu beflügeln.“
Ihre gesellschaftliche Verantwortung ist neben dem Selbstausdruck bedeutend: Sie nimmt die Schwachen, die Benachteiligten, die Minderheiten wahr und setzt sich für Frauen ein. Ihr Gerechtigkeitssinn und ihre Empathie liegen über dem Durchschnitt. Mit ihren Texten hilft sie anderen – und auch sich selbst. Mehrfach wurde ihr Talent anerkannt, ihre erste Auszeichnung erhielt sie 2011: In Ländern Afrikas, des Nahen Ostens und Südostasiens ist die weibliche Genitalverstümmelung auch heute noch verbreitet – für ihre Arbeit zu diesem Thema wurde sie ausgezeichnet.

Sie hat eine zehnjährige Tochter und einen fünfjährigen Sohn. Dank ihnen erhielt vor einigen Jahren auch die Wissensvermittlung einen besonderen Stellenwert in ihrer Arbeit: So erschienen 2019 der Reiseführer 111 Orte für Kinder in Wien, die man gesehen haben muss und 2021 der andere mit dem Titel 111 Orte rund um den Neusiedler See, die man gesehen haben muss. Letzterer zeugt von ihrer unendlichen Liebe zur Natur: Er macht die Leserinnen und Leser darauf aufmerksam, dass es sich lohnt, nicht nur die österreichische, sondern auch die ungarische Seite des Sees zu entdecken.

Die vom Verlag edition lex liszt 12 herausgegebene Reihe Junge Literatur Burgenland bietet jungen Autorinnen und Autoren des Bundeslandes eine Plattform und fördert die zeitgenössische Literatur. In der siebten Ausgabe der Serie wurde die Erzählung In einem Arm ein Kind, im anderen die Säge veröffentlicht. Sie ist bewusst schockierend und thematisiert Flucht, Ausgrenzung, religiöse Auseinandersetzungen, den Tod eines Vaters sowie das „Zersägen“ familiärer Traditionen.



Derzeit arbeitet sie an einem Roman, der von den ungarischen Zwangsarbeitern im Burgenland gegen Ende des Zweiten Weltkriegs handelt. Ein weiteres Buch möchte sie später jenen Frauen widmen, die sich dem Ende ihrer fruchtbaren Jahre nähern, jedoch bisher nicht schwanger werden oder ein Kind zur Welt bringen konnten, und die vielleicht einmal oder sogar mehrfach eine Fehlgeburt erlitten haben.
„Ich möchte ihnen Mut machen, damit sie keine Angst vor dem Vergehen der Zeit haben, nicht aufgeben – es wird gelingen.“
Im Laufe ihrer bisherigen Karriere konnte sie sich ein vielfältiges Repertoire aufbauen. Ihr geheimer Wunsch ist, dass sich eines Tages auch ein ungarischer Verlag für ihre Werke interessiert.
Übersetzung: Pathy
Text: Mónika Gombás
Hervorragendes Bild: Bernadette Németh