Welche Aufgaben und Herausforderungen erwarten eineUngarischlehrerin/einen Ungarischlehrer, der oder die nach dem Universitätsabschluss beginnt, ungarische Sprache und Literatur im österreichischen Schulsystem zu unterrichten? Welche Gemeinsamkeiten zwischen der ungarischen und der österreichischen Literatur könnten einen vergleichenden didaktischen Zugang unterstützen? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigte sich ein gemeinsames Forschungsprojekt von Erika Erlinghagen und Ferenc Vincze, Mitarbeitenden der Abteilung für Hungarologie am Institut für Finno-Ugristik der Universität Wien. Das Projekt wurde vom Bundeskanzleramt Österreich finanziert.
Der Zweck des Projekts bestand in erster Linie darin, die Situation und die Möglichkeiten des Unterrichts der ungarischen Literatur in Österreich zu erfassen. Im Rahmen der Forschung wurde eine Podiumsdiskussion mit Akteurinnen und Akteuren verschiedener Bildungsbereiche organisiert, ein Workshop für Ungarischlehrerinnen und -lehrer am Zweisprachigen Bundesgymnasium in Oberwart abgehalten sowie eine internationale Konferenz an der Universität Wien veranstaltet. Als Zusammenfassung all dessen erschien der Band mit dem Titel Ungarische Literatur und ihre Vermittlung im österreichischen Kontext / Magyar irodalom és közvetítése osztrák kontextusban. Der Band enthält zudem zahlreiche praktische Vorschläge für den Ungarischunterricht in Österreich.

Noémi Farkas/Rólunk.at: Auf welche Probleme stößt der Ungarischunterricht in der österreichischen Umgebung?
Erika Erlinghagen: Wenn wir versuchen, die Probleme des Ungarischunterrichts zu umreißen, ist es wichtig, gleich zu Beginn zu erwähnen, dass es nicht unerheblich ist, in welchem System und unter welchen Bedingungen dieser Unterricht stattfindet. Denn während der Ungarischunterricht zum Beispiel im Burgenland innerhalb des staatlichen Schulsystems erfolgt, findet er in Wien größtenteils außerhalb dieses Systems statt. Hier wird der Unterricht von verschiedenen Vereinen organisiert. Innerhalb des Schulsystems muss die Lehrkraft meist damit umgehen, dass sie sehr heterogene Gruppen unterrichtet, die die Sprache auf unterschiedlichem Niveau beherrschen, weshalb ein stark differenzierter Ansatz und eine entsprechende Methodik erforderlich sind. Darüber hinaus ist es im Hinblick auf den Ungarischunterricht und insbesondere den Literaturbereich wichtig zu betonen, dass es einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Literaturunterricht in Österreich und in Ungarn gibt. Während in Österreich der kanonisch ausgerichtete Unterricht – also das Kennenlernen konkreter literarischer Werke – weniger verbreitet ist, wird in Ungarn die Literatur bis heute überwiegend auf diese Weise vermittelt. Deshalb ist es besonders wichtig, dass die Lehrpersonen, die in Österreich Ungarisch unterrichten, gut informiert und vorbereitet sind – denn in vielen Fällen liegt die Auswahl der zu behandelnden literarischen Werke allein in ihrer Verantwortung. Zwar existieren eigens für den Ungarischunterricht in Österreich entwickelte Lehrbücher, der Großteil davon wurde jedoch nicht speziell für den Literatur-, sondern primär für den Sprachunterricht konzipiert.

Noémi Farkas/Rólunk.at: Welche Beziehungen bestehen zwischen der österreichischen und der ungarischen Literatur?
Erika Erlinghagen: Zwischen der österreichischen und der ungarischen Literatur bestehen zahlreiche Verbindungen und Berührungspunkte – ich denke, das ist nichts Neues. Der am Ende des Projekts veröffentlichte Band behandelt viele Themen, entlang derer spannende Vergleiche angestellt werden können. Zum Beispiel sei die Frage der burgenländisch-ungarischen Literatur erwähnt, über die Kerstin Istvanits im Buch ausführlich schreibt. Hier stellen die Minderheitensituation und die Mehrsprachigkeit solche Anknüpfungspunkte dar, die ganz allgemein sowohl in der österreichischen als auch in der ungarischen Literatur wesentliche Aspekte bilden. Ergänzt wird dies durch die Studie von Károly Kókai, der das Burgenland-Bild der ungarischen Literatur untersucht, vor allem im Zusammenhang mit der ungarischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Ein besonders spannendes Thema ist das Grenzüberschreiten sowie das Auftauchen historischer Ereignisse in der ungarischen und österreichischen Prosa. Ausführlich behandelt wird dies im Text „Geschichte aus zweiter Hand“ – unter anderem am Beispiel des Falls des Eisernen Vorhangs, der in der gemeinsamen Vergangenheit beider Länder eine zentrale Rolle spielt. Darüber hinaus befassen sich die Studien sowohl mit der Holocaustliteratur als auch mit thematischen Parallelen, die aus der gemeinsamen Vergangenheit in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie hervorgehen.
Noémi Farkas/Rólunk.at: Auf welche Weise kann man diese Verbindungen im Ungarischunterricht in Österreich anwenden? Gibt es praktische Anleitungen im Band?
Erika Erlinghagen: Die im Band präsentierten Vorschläge können sich in einem kontextualisierenden Unterricht als besonders hilfreich erweisen. Im schulischen Alltag ist nämlich davon auszugehen, dass viele Schülerinnen und Schüler bereits mit dem einen oder anderen Werk der österreichischen Literatur vertraut sind. Wenn Lehrpersonen an diese Kenntnisse anknüpfen und von dort aus einen Übergang zur ungarischen Literatur schaffen, erleichtert das den Zugang erheblich. Gleichzeitig gilt dies auch in umgekehrter Richtung: Wer seinen Schülerinnen und Schülern die österreichische Literatur näherbringen möchte, kann dabei ebenso von Beispielen aus der ungarischen Literatur profitieren. Ein Teil der in den Band aufgenommenen Studien kann den kontextualisierenden Literaturunterricht gezielt unterstützen. Darüber hinaus enthält das Buch Texte mit konkreten Beispielen und methodischen Anregungen für die Vermittlung von Literatur an Volksschulkinder. Ergänzt wird dies durch Musterstundenpläne, die Vorschläge zur Bearbeitung einzelner literarischer Texte bieten und als praktische Leitfäden dienen können.
Noémi Farkas/Rólunk.at: Für wen ist das Buch gedacht?
Erika Erlinghagen: Der Band richtet sich an ein breites Lesepublikum. Im Mittelpunkt stehen natürlich jene Lehrerinnen und Lehrer, die Ungarisch in Österreich unterrichten – sie finden darin vielfältige Themen, methodische Anregungen, praktische Leitfäden sowie eine ausgewählte Bibliografie für den Unterricht.
Auch für Studierende der Lehramtsausbildung kann das Buch eine wertvolle Unterstützung bei der Vorbereitung auf den Beruf bieten. Darüber hinaus dürfte es all jene interessieren, die sich für die Beziehungen zwischen der österreichischen und ungarischen Literatur, für die Besonderheiten des Ungarischunterrichts in Österreich oder einfach für ein neues Leseerlebnis in diesem Themenfeld begeistern.
Text: Noémi Farkas
Übersetzung: Pathy
Hervorragendes Bild: Universität Wien